Tiere haben eine Vorstellung von Zukunft und Vergangenheit

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kirsche
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Tiere haben eine Vorstellung von Zukunft und Vergangenheit

Beitrag von kirsche » 25. Sep 2009 17:51

Santino plant den Aufstand
Jeden Tag um Punkt elf Uhr hatte der Schimpanse Santino seinen Auftritt. Er brüllte wütend die Besucher des Furuvik-Zoos im schwedischen Gävle an und schleifte bedrohlich große Äste durch sein Gehege. Die Zoobesucher fanden das amüsant - bis der Affe anfing, sie mit Steinen zu bombardieren. Woher Santino seine Munition hatte, war den Tierpflegern ein Rätsel. Eines frühen Morgens beobachteten sie ihn dann, wie er in aller Ruhe Steine aus dem Wassergraben rund um sein Gehege fischte und zu ordentlichen Haufen entlang der Wasserlinie anordnete. Wenn der Zoo um zehn Uhr öffnete, war sein Waffenlager längst gut gefüllt. "Dieses Verhalten beweist, dass Schimpansen die Zukunft planen können", sagt der Primatologe Mathias Osvath von der Lund Universität, der in der Fachzeitschrift Current Biology über den Fall Santino berichtet hat.

Bis vor kurzem waren Verhaltensforscher und Psychologen überzeugt, dass diese Fähigkeit dem Menschen vorbehalten ist und dass Tiere ausschließlich in der Gegenwart leben. Eichhörnchen etwa, die Nüsse für den Winter sammeln, tun das nicht, weil sie harte Zeiten vorhersehen. Sie legen ihre Vorräte in dem Moment an, in dem sich im Herbst die Lichtverhältnisse ändern und die Temperaturen sinken. "Selbst Affen, die sich ein Werkzeug basteln, um Termiten zu angeln, tun das, um ein unmittelbares Bedürfnis zu stillen, nämlich Hunger", sagt Josep Call vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Echtes Planen für die Zukunft erfordert dagegen, dass ein Tier weiß, welche Bedürfnisse es einmal haben wird. Kapuzineraffen beispielsweise sind dazu nicht in der Lage. Sie fressen sich voll, bis sie nicht mehr können, und werfen dann das restliche Futter aus ihrem Käfig - auch wenn sie vorher mehrmals die Erfahrung gemacht haben, dass es am nächsten Morgen kein Futter geben wird. Wenn sie satt sind, können sich die Tiere nicht vorstellen, jemals wieder Hunger zu haben.

Totenkopfäffchen handeln weitsichtiger: In einem Experiment konnten sie sich entweder eine Dattel nehmen oder vier. Jeder vernünftige, hungrige Affe würde sich für vier entscheiden. Doch der Haken an diesem Experiment war, dass Datteln die Tiere sehr durstig machen und dass sie erst nach drei Stunden Wasser bekamen, wenn sie vier Früchte nahmen. Aßen sie dagegen nur eine, bekamen sie schon nach 30 Minuten zu trinken. Innerhalb kürzester Zeit lernten die Tiere, nur eine Dattel zu nehmen. Sie wussten, dass sie nach dem Essen bald durstig sein würden.

Josep Call und sein Kollege Nicholas Mulcahy konnten als Erste zeigen, dass auch Bonobos und Orang-Utans Zukunftspläne schmieden. Die beiden Wissenschaftler präsentierten den Affen einen Kasten, in dem Weintrauben hingen. Um sich die Leckerei zu holen, mussten die Tiere ein Werkzeug benutzen. Im eigentlichen Experiment lagen zwei passende und sechs unpassende Werkzeuge auf einem Tisch. "Die Affen mussten eines davon aussuchen, konnten es aber 14 Stunden lang nicht nutzen, weil wir den Kasten abgebaut hatten", sagt Call. Erst am nächsten Morgen brachten die Verhaltensforscher die Apparatur wieder ins Gehege. Viele der Affen waren bestens darauf vorbereitet: Sie hatten das passende Werkzeug die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt, mit zum Schlafen genommen und am nächsten Morgen daran gedacht, es wieder mitzubringen. "Die Affen sichern sich ein Werkzeug, um es in der Zukunft zu benutzen", sagt Call.

Im Gehirn des Menschen gibt es einen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, Zukunftspläne zu schmieden, und der Erinnerung an vergangene Erlebnisse. Voraussetzung für beides ist das episodische Gedächtnis, in dem persönliche Erfahrungen gespeichert werden, etwa wann ein Mensch wo was erlebt hat. Hirnforschern fiel das erstmals an einem Patienten namens KC auf, der aufgrund einer Hirnverletzung sein episodisches Gedächtnis verloren hatte. Der Mann konnte zum Beispiel Schach spielen, ohne sich zu erinnern, dass er es jemals gespielt hat. Gleichzeitig konnte er sich kein Bild mehr von der Zukunft machen.

Die Vermutung liegt nahe, dass Tiere, die die Zukunft planen können, auch eine Art episodisches Gedächtnis haben. Buschhäher beispielsweise erinnern sich nicht nur an Tausende Orte, an denen sie Futter versteckt haben, sie wissen auch noch genau, was wo vergraben ist. Nicola Clayton von der University of Cambridge bot Buschhähern in einem großen Käfig Erdnüsse und Schmetterlingslarven an. Aus Sicht eines Buschhähers sind die Larven zwar leckerer, haben aber den Nachteil, schneller zu vergammeln. Clayton ließ ihre Vögel beides verstecken, dann setzte sie die Tiere in einen anderen Käfig. Brachte sie die Vögel nach vier Stunden zurück, buddelten sie fast nur Larven aus. Nach fünf Tagen ließen sie die Verstecke mit den inzwischen verschimmelten Larven links liegen und holten sich nur Erdnüsse.

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