MindFuck- & Sagt-mal-bitte-Thread: Sprache+Wörter-Edition

Plausch & Palaver
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Lovis
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Beitrag von Lovis » 30. Aug 2021 07:51

illith hat geschrieben:
29. Aug 2021 22:10
gibt's eine Chance, dass es auch richtig sein kann, "(!)" ohne Leerzeichen direkt ans Bezugswort zu pappen?
also "beim fünften(!) Versuch klappte es endlich"
Nein.

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Murphy
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Beitrag von Murphy » 26. Sep 2021 19:59

Stichpunkt Helvetismus:

https://www.nzz.ch/folio/jubilaeum/wenn ... Nkktflcfnw
Wenn es nachtet: Der Schriftsteller Peter Bichsel über Helvetismen
Helvetismen sind die fünfte Landessprache. Aber die Schweizer sind sich ihrer Eigentümlichkeit gar nicht bewusst.
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Ars
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Beitrag von Ars » 26. Sep 2021 20:57

Sehr interessanter Text. Ich war mir zum Beispiel wirklich nicht bewusst, dass Detailhandel ein Helvetismus ist. Wenn mir ein Helvetismus klar ist, nutze ich häufig direkt die Deutsche Version. Ich realisiere auch öfters, dass ich da etwas unentspannt bin teilweise. Manchmal ist es mir vollkommen egal, wenn dieses Grinsen über die Schweizer*innen kommt, die sich mal wieder so lustig ausdrücken. Manchmal bin ich aber einfach darüber genervt, weil es dann bei mir ankommt als die überhebliche Vorstellung, dass Deutsches Deutsch das einzige Deutsch ist. Man/frau ist sich dann manchmal nicht einmal im Klaren darüber ist, dass es vollkommen korrekte andere Deutschversionen gibt. Das nervt dann ab und zu halt etwas, auch wenn es natürlich vollkommen lächerlich ist, sich darüber aufzuregen. "C'est l'intention qui fait la musique" um es mal etwas umgewandelt auszudrücken.

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Murphy
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Beitrag von Murphy » 26. Sep 2021 21:05

Aber kriegt ihr das nicht mit? Es gibt ja mWn keine gesonderte Übersetzung von Serien und Filmen ins Schweitzerdeutsche, und Dokus kommen doch häufig aus Deutschland.

e. Ich zitiere wenn ich am PC bin später raus was ich am Text bemerkenswert fand.
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Ars
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Beitrag von Ars » 26. Sep 2021 21:23

Natürlich weiss ich das bei vielen Sachen. Ich würde zum Beispiel hier im Forum nicht parkieren schreiben oder Portemonnaie, Peperoni oder Trottoir. Detailhandel ist bei uns aber so dermassen geläufig im Alltag, dass sogar der Beruf so heisst: Detailhandelsangestellter. Da ist die Diskrepanz in der Realität zu den wahrgenommenen anderen "Deutschen" Ausdrücken dann wohl zu gross. Die Frage ist auch, warum? Warum sollte ich jetzt permanent andere Worte benutzen, obwohl ich absolut korrektes Duden-Deutsch schreibe, weil mein Gegenüber eine Bildungslücke hat bezüglich des Vorhandenseins verschiedener korrekter Deutschversionen?

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Shub-Niggurath
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Beitrag von Shub-Niggurath » 26. Sep 2021 21:27

Ars hat geschrieben:
26. Sep 2021 21:23
Ich würde zum Beispiel hier im Forum nicht parkieren schreiben oder Portemonnaie, Peperoni oder Trottoir.
Die sind im Westen von Deutschland (an der Grenze zu Frankreich) alle mehr als geläufig.
Keramikvasen geh'n jetzt wieder viel leichter kaputt.

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illith
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Beitrag von illith » 26. Sep 2021 22:24

Ars, ich hoffe, ich bin dir nicht auf die Füße getreten, das war echt in keiner Weise meine Intention. :)
im Gegenteil, ich mag es, neue/andere Begriffe kennenzulernen.

@Shub: die sind mir auch völlig geläufig. wobei zumindest Trottoir evtl eher aus der alten Heimat. 🤔
und Peperoni ist ja mehrdeutig.
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Nullpositiv
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Beitrag von Nullpositiv » 27. Sep 2021 08:34

Shub-Niggurath hat geschrieben:
26. Sep 2021 21:27
Ars hat geschrieben:
26. Sep 2021 21:23
Ich würde zum Beispiel hier im Forum nicht parkieren schreiben oder Portemonnaie, Peperoni oder Trottoir.
Die sind im Westen von Deutschland (an der Grenze zu Frankreich) alle mehr als geläufig.
Dito im Süd-Westen.
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Ars
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Beitrag von Ars » 27. Sep 2021 10:45

So, jetzt am PC und deshalb eine Textwand befürchte ich, weil mich das Thema wirklich interessiert und ich es spannend finde.

Nein Illith, mehr so ein :roll:. Ich bin da wohl langsam auch so wenig "offen", dass ich nicht Interesse an neuen Wörtern hinter einer Rückfrage vermute, sondern ein Belächeln. Ich gehe davon aus, dass ich damit aber nicht alleine bin. Wir Schweizer*innen haben glaube ich ein etwas schwieriges Verhältnis zum Standarddeutsch und den Deutschen.

Grundsätzlich wachsen wir komplett im Dialekt auf und kommen dann über Medien (mündliches Standarddeutsch) und mit dem Schuleintritt zum ersten Mal mit der schriftlichen Standardsprache in Kontakt. Die schriftliche Kommunikation privat findet mittlerweile (vor allem bei der jüngeren Generation) komplett im Dialekt statt: geschrieben wird wie gesprochen, das heisst, dass auch die verschiedenen Dialekte erkennbar werden. Im schulischen/beruflichen Kontext wird im Schriftverkehr die Standardsprache genutzt. Hier gibt es die Helvetismen, die wir ganz natürlich nutzen und die wie beschrieben, so auch im Duden stehen und somit korrektes Standarddeutsch sind. Da gibt es selbstverständlich Worte, die teilweise auch im Süden/Westen Deutschlands bekannt sind. Sprache hält sich ja nicht an Grenzen, sondern ist einem Verlauf unterworfen regional.

Standarddeutsch zu sprechen ist für uns ungewohnt. Es wird lediglich im schulischen Kontext genutzt (im beruflichen überhaupt nicht) oder sobald man einen Menschen trifft, welcher nicht Dialekt spricht. Da switcht der/die Schweizer*in direkt ins Standarddeutsch. Das ist extrem verankert, weil es auch nötig ist in der Kommunikation mit den anderen Landesteilen. Aber das ist in der Regel dieses ch-betonte, etwas holperige Deutsch. Und da fängt die Krux dann letztlich an. Der/die Schweizer*in bemüht sich sozusagen, dass das Gegenüber versteht, was er/sie sagen möchte und verhält sich somit sehr zuvorkommend. Mangels Anwendung und Übung klingt es, auch in den eigenen Ohren, aber ungelenk. Während des Sprechens muss teilweise "übersetzt" werden.

Mein Standarddeutsch ist für eine Schweizerin ziemlich gut, da ich einige Jahre einen Deutschen Partner hatte. Ich werde, wenn ich etwas im Flow bin, maximal in den Süden Deutschlands verortet, aber nicht mehr in die Schweiz. Aber bei Diskussionen über die Schweiz kam permanent das "Nachmachen" des Dialektes mit Sätzen wie "wer hats erfunden?" oder dem Versuch überall ein "-li" anzuhängen oder die kehlige ch-Aussprache und dazugehörigem Gegacker, weil man ja so witzig ist. Und genau das nervt letztlich. Statt anzuerkennen, dass sich das Gegenüber bemüht, dass die Kommunikation funktioniert (wir würden das ja nicht nötig haben, wir verstehen euch, inklusive eurer Dialekte ohne Untertitelung), ist es irgendwie als würde ein Erwachsener mit einem Kind sprechen und "jo tu tu tu" und "jöööö" von oben herab sagen. Wie wir sprechen, bildet dann häufiger leider auch noch das Bild von uns: Langsam, hinterwäldlerisch, Bergler. Ich habe teilweise so unfassbar dumme Fragen oder Verwunderung über Sachen erhalten, dass ich mich nur noch wunderte.

Und selbst bei der schriftlichen Kommunikation kommt dann das Problem mit den Helvetismen. Diese werden häufig nicht als korrektes Standarddeutsch verortet, sondern als versehentlich Nutzung von Dialektausdrücken in der Standardsprache.

Das alles führt dazu, dass man sich als Schweizer*in quasi, obwohl man versucht nett zu sein und man durchaus auch gebildet sein kann, häufig unwohl im Sprachumgang mit Deutschen fühlt. Man empfindet sein Gegenüber als arrogant und mit genau diesem Klischee werden dann die armen Deutschen hier abgestempelt.

Puh, sorry... wirklich eine Textwand ;)
Zuletzt geändert von Ars am 28. Sep 2021 07:47, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag von Nullpositiv » 27. Sep 2021 13:11

Wobei das einem im Deutschen mit Dialekten auch so geht. Und da genauso unnötig ist wie sich über Schwezerdeutsch oder österreisches Deutsch lustig zu machen.
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