Konstruktivismus

Plausch & Palaver
shroud
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Beitrag von shroud » 12. Jan 2021 15:12

Die Gewissheit objektiver Gesetzmäßigkeiten und Handlungsprinzipien kann aber genauso gut in linken emanzipatorischen Kontexten ins reaktionär Regressive kippen. Kritische Debatten oder Fragestellungen werden dann mit Verweis auf abstrakte Notwendigkeiten abgewürgt und kaltgestellt.

Sabotagehase
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Beitrag von Sabotagehase » 12. Jan 2021 15:19

@ akayi
Und genau dem widerspreche ich.
Ich versuche mal meine persönliche Sichtweise zu schildern. Also jetzt nicht irgendeine Theorie, sondern das woraus ICH wirklich meine Denkweise nehme.

1. Ich gehe davon aus, dass es nicht möglich ist die objektive Wahrheit rauszufinden und eine annäherung ist nicht möglich, wir können lediglich innerhalb des uns sichbaren intersubjektiv erfassen, wie das System zu funktionieren scheint. WIssenschaft und so. Innerhalb dieses Systems ist es möglich, Logik anzuwenden.

2. Innerhalb des Systems ist es möglich, eine Ethik zu bilden. Aufgrund logik, prozessverständnis, meinetwegen empirie..... erstmal egal. Ich sehe keinen Anhaltspunkt. Dh., und das ist das warum ich dir widerspreche: nur weil wir nicht nachweisen können, ob das was wir wahrnehmen wirklich so existiert, heißt es nicht, dass wir nicht INNERHALB dieses Systems, allso INNERHALB der Klammer unserer "Berechnung" intersubjektiv etwas feststellen können. Z.B. dass wir etwas tendentiell doof finden. Oder die Gravitation. Ist jetzt beides definitiv nicht gleichzusetzen, aber beides halt IM Konstrukt. Weil physikalisch betrachtet ergibt es keinen Sinn, sich die ganze Zeit über die konstruiertheit von etwas messbarem den Kopf zu zerbrechen. Messen, vlt noch Messgenauigkeit/Versuchsaufbau durchdenken, passt schon. Aber eben IM system. Und dann können wir uns auch innerhalb des Systems auf sowas wie gut oder schlecht einigen, oder halt eben nicht.

Folglich ist die Annahme, dass alles Konstruiert sei, ziemlich egal. In dem Sinne muss ich Kim gewissermaßen rechtgeben, es ist nicht sonderlich notwendig, in allen Lebenssituationen und entscheidungen auf die Theorie zurückzugreifen, weil ich die Entscheidungen innerhalb des Systems auf der Basis von innerhalb des Systems befindlichen subjektiven wie intersubjektiven Annahmen treffe. Ohne diese Innerhalb des Systems """objektiven""" Annahmen kommt ja auch niemand klar. Da könnte man dann ja folglich wirklich garnix mehr. Und innerhalb unseres Systems ist es natürlich möglich, ein vorne und ein hinten (-> Fortschritt) zu definieren. Ohne käme man ja garnicht klar. Da bräuchte ich ja garkeine Werte mehr. Blöd.
Vlt scheint es so, dass ich mir da in meinem Punkt von gestern zu widersprechen scheine, tue ich m.e. nicht, kann jetzt aber noch nicht ganz deuten wieweit sich für andere mein jetziger Post liest, mal schaun

Also: Ich sehe Konstruktivismus als Rahmentheorie, quasi die Schachtel um alles, die aber alles in der schachtel nicht zwingend beeinflusst, weil es sich dabei um ein "geschlossenes" System handelt (sofern Gott ausgeschlossen wird etc.). Ich kann mir dessen Bewusst werden und gedanklich z.B. meine Wissenschaftstheorien, meine Moral, whatever dadurch hinterfragen, an der Empirie (apfel fällt immer nach unten) ändert das aber nicht.
Und daran dass ich Rechte, Kapitalismus und Todesstrafe doof finde auch nicht. Deshalb sehe ich das mit dem "rechts" auch garnicht zwingend gekoppelt an die Konstruktivismusdebatte. Ich würde den Komstruktivismus wenn dann sogar eher in eine andere Richtung interoretieren, da mir das Konzept "Richtungen" in der Politik aber eh nicht si taugt (versteh mich nicht falsch, das was man meist als Rechts definiert finde ich zweifellos kacke aber es ist iwie oft so Hufeisentheorielastig und da bekomm ich das Kotzen, deshalb argumentier ich lieber mit konkreten Inhalten als Schagwörtern)

Kann jetzt natürlich aber auch sein dass ich da komplett an dir vorbeirede, weil ich das mit der objektivität innerhalb des systems in meiner Denke ganz fürchterlich finde und eigentlich gerne immer grundsätzlich von intersubjektivität sprechen möchte. Und in meinem Fortschrittsverständniss hoffe ich stark, dass Menschen irgendwann auf intersubjektiver Ebene zu etwas von mir und in meiner Ethik als "gut" definiertem kommen und dies anstreben (sei es ein politisches System, eine Moral, whatever). Tun ja auch viele, nur aus meiner Sicht leider nicht genug. Glaube also letztendlich ist es möglich, am Ende bei einem ähnlichen Punkt rauszukommen, zumindest glaube ich dass ich mit dir eher einer Meinung wäre als mit jemandem, der etwas absolut absurdes als "objektive Wahrheit" definiert. Könnte da jetzt mit sehr vielen Beispielen für das Postulieren "objektiver Wahrheiten" anfangen (neben Rassenlehre... oder manchen neoliberalen Sichtweisen auf die Wirtschaft....) aber ich lass das jetzt mal weil dann werde ich hier garnicht mehr fertig.

Sabotagehase
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Beitrag von Sabotagehase » 12. Jan 2021 15:30

@shroud weil du offenbar schneller warst:

Ich würde stetiges hinterfragen sogar als Grundlage emanzipatorischer Denkweisen sehen. Finde das Motto der Zapatisten (spanisches original finde ich grad iwie nicht) mit "Fragend suchen wir den Weg" da eigentlich ganz cool.
Vlt ist das mit dem Konstruktivismus auch deshalb gewissermaßen relevant für mich, weil ich ziemlich viele sich als links definierende Leute kenne, die für sich die unanfechtbare Wahrheit gepachtet zu haben scheinen und es mich mittlerweile so dermaßen nervt, dass da absolut keine Diskussion über irgendwas möglich ist. Nichtmal selbstkritik auf persönlicher Ebene. Ich bin dahingehen also vlt gewissermaßen "wundgescheuert".

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Akayi
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Beitrag von Akayi » 12. Jan 2021 16:21

Eine mangelhafte Debattenkultur als Anlass zu nehmen sich von der Erklär- und Veränderbarkeit der Welt zu verabschieden halte ich für unangemessen.
recherchiert, was rechtlich so möglich ist

Sabotagehase
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Beitrag von Sabotagehase » 12. Jan 2021 16:35

War nur eine erklärung dafür dass das mir noch mehr als sonst ein bedürfnis war, das jetzt in der ausführlichkeit zu beantworten, mehr aber auch nicht. Und v.a. während ich eigentlich in einem Meeting sitze. Ansich besteht sonst kein Zusammenhang. Diese Sichtweise hatte ich gewissermaßen in Ansätzen schon, bevor ich auch nur überhaupt irgendwen kannte der sich als links definiert hat den ich persönlich doof finden könnte.
Das war also definitiv kein "Anlass". Es fällt mir nur akut in den Situationen immer wieder auf.

Edit: ich habe das thema um MICH zu erklären in meinem Vorletzten Post zwar auf die Persönliche Ebene gezogen, um MEINE Interpretation des ganzen darzustellen, das bedeutet aber nicht unbedingt die Tastache, dass ich dem Konstruktivismus was abgewinnen kann, grundsätzlich zu psychologisieren. Dafür ist nämlich die Reihenfolge die falsche. Und selsbst wenn du ansich recht hättest, ist das kein Grund nur aufgrund eines "bescheuerten" Anlasses eine Denkrichtung blöd zu finden. Dafür kann man nämlich auch andere Argumente finden

Inwieweit Veränderbarkeit? Das verstehe ich nicht ganz. Ich sehe da irgendwie den Zusammenhang nicht. Innerhalb des Systems kann ich doch sowohl verändern als auch erklären? Sonst wäre jegliche progressive politische Auffassung die Handlungen forcieren möchte oder durchführt und v.a. jegliche Wissenschaft doch sinnlos, oder nicht?

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Kim Sun Woo
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Beitrag von Kim Sun Woo » 12. Jan 2021 20:34

Sabotagehase hat geschrieben:
12. Jan 2021 15:19
deshalb argumentier ich lieber mit konkreten Inhalten als Schagwörtern)
Randnotiz: Wobei "Schlagwörter", zumindest ursprünglich, ja auch meist nur eine Verkürzung von Inhalten sind, um diese schnell und manchmal verständlicher vermitteln zu können.

(das sich politische Diskussionen in der Praxis aber zu oft an Worthülsen abarbeiten - völlig richtig)

Sabotagehase hat geschrieben:
12. Jan 2021 15:30
Vlt ist das mit dem Konstruktivismus auch deshalb gewissermaßen relevant für mich, weil ich ziemlich viele sich als links definierende Leute kenne, die für sich die unanfechtbare Wahrheit gepachtet zu haben scheinen und es mich mittlerweile so dermaßen nervt, dass da absolut keine Diskussion über irgendwas möglich ist.
ebenfalls aus persönlicher Erfahrung: besonders anstrangend, wenn man das Gefühl hat, daß denjenigen gar nicht klar ist, daß ihre Positionen, die sie selbst für wahnsinnig "objektiv" halten, genauso von ihren eigenen Vorstellungen, Erfahrungen und Empfindungen (!) eingefärbt sind.

(da paßt dann der Verweis auf das "Rassenlehre" Beispiel: "objektiv" ist an Rassismus (meines Erachtens?) erstmal nichts falsch, die Ablehnung ergibt sich durch die gesellschaftlichen und persönlichen Wertvorstellungen)
Man hat jeden Tag die Chance die bestmögliche Version von sich selbst zu sein. ♥

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Bl@ck_C@t
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Beitrag von Bl@ck_C@t » 12. Jan 2021 21:03

@akayi und @sphinkter Woher kommen eurer Meinung nach die objektiven Wahrheiten? Aus der Welt der Ideen des Platon? Sind sie durch JHWH in der Schöpfung implementiert? Ist es der Weltengeist Hegels, der über richtig und falsch entscheidet? Oder muss der Mensch mit seiner Vernunft, die bei jedem*r gleich ist, die Wahrheiten der Welt entschlüsseln? Das alles waren zumindest ein paar Versuche der europäischen Geistesgeschichte der aboluten objektiven Wahrheit nahe zu kommen. Wie ich in meinem Post von gestern schon angesprochen habe, wurden diese Ansätze in der westlichen Philosophie im Laufe des 19. und noch mehr im 20. Jh. verworfen. Ein gutes Beispiel neben den gestern genannten Strömungen aus dem 20. Jh. sind die Gedanken Nitzsches. Allerdings handelt es sich bei seinen Überlegungen, wie auch bei Kontsruktivismus und ähnlichen Theorien nicht um reinen Skeptizismus, sondern eben um Konzepte die eine allgemeingültige absolute objektive Wahrheit negieren. Sie haben allerdings alle genügend Vorschläge gemacht, wie es trotzdem zu Aussagen kommen kann, die sich auf mehr als ein Subjekt beziehen. Hier hatte ich schon auf die Intersubjektivität hingewiesen, die dabei hilft allgemeinere Aussagen zu treffen.
Dann möchte ich auch noch festhalten, dass der Konstruktivismus Teil der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie ist, also das auf dem alle anderen Wissenschaften aufbauen. Inzwischen ist er ein Standart der Forschung, wie ich und andere Teilnehmer des Threads (@sabo, @shroud) hingewiesen haben, dass sich die Wissenschaft davor hütet, Aussagen nach dem Prinzip falsch oder richtig zu treffen, sondern mit Wahrscheinlichkeiten bzw. Plausibilität arbeitet. Der K. gehört somit erstmal zur Basis des wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens. Wenn wir uns dann auf die Ebene höher in der Philosophie begeben, also wie es sphintker mit seinem Verweis auf die ethische Haltung zu Kindesmissbrauch und dem Verbrechen des Dritten Reichs getan hat, kommen wir eben zur Ethik oder Moralpholosophie. Wenn wir nun, wie es dem heutigen Stand entspricht, davon ausgehen, dass es keine objekiven Wahrheiten gibt, sind wir hier nun frei darüber nachzudenken was für uns oder alle Menschen das Beste wäre. Welche Regeln wir brauchen, um auf die best möglichste Weise zusammen zu leben. Und das gute ist nun, dass wir das völlig frei von Dogmen machen können und nicht mehr nur blind irendwelchen Heiligen Schriften oder ebenso heiligen Gesetzbüchern gehorchen müssen. Es ist also befreinder den Objektivismus zu verwerfen, als ihn weiter anzunehmen. In der Videospielreihe "Assassin's Creed" wird das gut dargestellt: Die Templer glauben an eine absolute objektive Wahrheit und wollen die Menschenheit unter ihre totale Herrschaft bringe, weil sie annehmen, so den Menschen zur Glückseligkeit zu verhelfen. Die Assassinen jedoch folgen dem Kredo "Nichts ist wahr, alles ist erlaubt." und meinen, dass es das Beste ist, wenn sch die Menschen frei und selbst entscheiden, wie sie zu leben haben. Ich stehe da ganz auf Seiten der Assassinen und möchte selbst frei darüber nachdenken und mit anderen Diskutieren können, wie wir alle am besten zusammen leben können.
Ich möchte hier ein paar Lesetipps geben, die vlt. helfen, sich den zugegeben auf dem ersten Blick sehr befremdlichen und abstrakten Gedankenmodellen der zeitgenössischen Philosophie zu nähern: 1. Ein populärwissenschafltlicher Überblick wie "Die philosophische Hintertreppe" oder die Geschichte der Philosophie von R.D. Precht sind nie verkehrt, um sich einen überblick über die westliche Pholosophie zu verschaffen. 2. Ein anschauliches Beispiel für das Problem mit dem sich der Konstruktivismus beschäftigt ist das Kinderbuch "Fisch ist Fisch" von Leo Lionni. 3. Habe ich bei meinen Ausführungen vor allem an die Theorien und Gedanken von Nitzsche, der Frankfurter Schule (Horkheimer, Adorno, Habermas), Focault und Butler gedacht, ist dann halt primär Literatur.
@akayi möchte ich noch anmerken, dass die meisten der Denker*innen, die objektive Wahrheiten verwarfen und negieren, sich mehr oder weniger als politisch "links" verstanden/verstehen (Frankfurter Schule, Focault, Butler).

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Akayi
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Beitrag von Akayi » 13. Jan 2021 14:22

Kim Sun Woo hat geschrieben:
12. Jan 2021 20:34
(da paßt dann der Verweis auf das "Rassenlehre" Beispiel: "objektiv" ist an Rassismus (meines Erachtens?) erstmal nichts falsch, die Ablehnung ergibt sich durch die gesellschaftlichen und persönlichen Wertvorstellungen)
Sorry, aber was?
recherchiert, was rechtlich so möglich ist

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Beitrag von HelLo » 13. Jan 2021 22:37

Ich finde das so unfassbar schlimm und dumm!
Look at all those stars.
Look at how goddamn ugly the stars are.

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Beitrag von Rosiel » 13. Jan 2021 22:50

Ähm und was genau ist an Rassismus nicht falsch?

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