Martin Luther – Reformator oder Hassprediger?

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das Berteltier
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Martin Luther – Reformator oder Hassprediger?

Beitrag von das Berteltier » 16. Feb 2022 11:26

Nachdem in einem anderen Thread damit begonnen wurde die Person Luthers zu beleuchten, vielleicht für ihn einen eigenen Thread. Hier ist er.

Zur Einführung dieser Artikel:
Martin Luther - Der Hassprediger
Zuletzt geändert von das Berteltier am 16. Feb 2022 13:35, insgesamt 1-mal geändert.
Ich betrachte die Schoah als das größte jemals begangene Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.
Jegliche Leugnung, Verharmlosung oder Relativierung des Holocaust, auch bezogen auf andere Minderheiten wie z. B. die der Sinti und Roma, lehne ich ab.

hansel
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Beitrag von hansel » 16. Feb 2022 11:48

Tut mir leid:
Aber ich lehne die Überschrift und den verlinkten Artikel:" M. L. Der Hassprediger" als eine einseitige unwissenschaftliche Vorverurteilung ab.
- Ist ja auch eine Art Kampfschrift eines Antitheistenvereins.
Ich möchte (soweit ich das kann) mich nach der Geschichte richten und bevorzuge für mich die Herangehensweise der Annales-Schule und ihrer deutschsprachigen Nachfolger wie Ferdinand Seibt und Johannes Fried.
Mit der obigen Schrift kann ich nix anfangen, da bin ich raus.
Zuletzt geändert von hansel am 16. Feb 2022 12:22, insgesamt 3-mal geändert.

das Berteltier
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Beitrag von das Berteltier » 16. Feb 2022 11:52

Gegenvorschlag für den Titel? Ich kann den ja noch ediTieren.

"Martin Luther - Friedensstifter oder Hassprediger?" z.B.?
Ich betrachte die Schoah als das größte jemals begangene Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.
Jegliche Leugnung, Verharmlosung oder Relativierung des Holocaust, auch bezogen auf andere Minderheiten wie z. B. die der Sinti und Roma, lehne ich ab.

hansel
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Beitrag von hansel » 16. Feb 2022 12:20

das Berteltier hat geschrieben:
16. Feb 2022 11:52
Gegenvorschlag für den Titel? Ich kann den ja noch ediTieren.

"Martin Luther - Friedensstifter oder Hassprediger?" z.B.?
Auch nicht, da er weder das Eine noch das Andere war oder sein wollte. Ihn bewegte vorwiegend unser Verhältnis zu Gott. Zu allem Anderen gab er zwar seine Ratschläge, die aber kaum von den allgemeinen Volksweisheiten unterschieden. Auf jeden Fall war er ein Mann der damaligen Ordnung. Auch in der Kirche wollte er ja keine Revolution sondern eine Reformation auf der Grundlage des Neuen Testaments.
Er war eher ein Mann des Mittelalters als der anbrechenden Neuzeit. Aber Mittelalter hat wiederum für sehr viele (zu Unrecht !!!!) etwas Abwertendes.
"M.L. - und seine Zeit" klingt etwas verbraucht, obwohl man ihn nur aus seiner Zeit verstehen kann.

das Berteltier
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Beitrag von das Berteltier » 16. Feb 2022 13:53

Ok, ich habe umbenannt auf "ML - Reformator oder Hassprediger", beide Optionen, es soll ja eine Diskussionsgrundlage sein. Ich bin (bisher) der Ansicht, dass seine Haltung für seine Zeit zwar nicht ganz ungewöhnlich war, jedoch auch nicht repräsentativ. Es gab durchaus auch etliche Leute in der Kirche, welche menschliche Züge an den Tag gelegt haben. Heißt, es gab auch Menschen, die eine solche Haltung gegenüber Minderheiten, Randgruppen, Menschen, welche aus dem genehmen Spektrum fielen, mehr Toleranz zeigten. ML hat sich sicher auf für seine Zeit zu einem Hardliner entwickelt.

Aber ich stelle das gerne zur Diskussion, vielleicht waren seine Entgleisungen auch nur eine Folge mangelnder Zurechnungsfähigkeit auf Grund langfristigen extremen Alkoholabusus?
Ich betrachte die Schoah als das größte jemals begangene Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.
Jegliche Leugnung, Verharmlosung oder Relativierung des Holocaust, auch bezogen auf andere Minderheiten wie z. B. die der Sinti und Roma, lehne ich ab.

hansel
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Beitrag von hansel » 16. Feb 2022 17:23

OK, bei dem Verhältnis Luthers zu den Juden hatte ich ja schon dargestellt, dass es ihm um die Konversion der Juden zu seinem biblischen Christentum ging. Erst als sie nicht darauf eingingen, verfolgte er sie mit seinem Hass. Dieser beruhte also nicht auf einer rassistischen antisemitischen Grundlage, sondern war die Fortführung des bekannten klerikalen Antijudaismus.
Zu den Bauernkriegen: Erste Vorläufer gab es 1381 in England. John Ball:"When Adam dalf / and Eva span / who was than a gentilman?". usw.
Martin Luther war an der sozialen Lage der Bauern zunächst weniger interessiert.
Diese deuteten seine Schriften "Von der Freiheit eines Christenmenschen" (1520) vorwiegend auf die soziale Frage um, während Luther vorzugsweise dies im Verhältnis zu Gott (seelisch, innerlich) und erst danach zu den Mitmenschen (leiblich, äußerlich) meinte, äußerlich sei der Mensch zumeist unfrei.
Deshalb die scheinbaren Gegensätze:
1. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Ding und niemand untertan.“
2. „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Ding und jedermann untertan.“
Die Bauern meinten aber unter Freiheit ihre persönlichen Rechte, sozialen Umstände und die Einhaltung "alter Rechte".
Deshalb wendeten sie sich 1525 mit den "12 Artikeln" an Luther mit der Bitte um Fürsprache bei den Fürsten.

In dem Traktat:"Ermahnung zum Frieden" im selben Jahr argumentiert Luther recht ausgleichend: Die soziale Not der Bauern und der übrigen betroffenen Bevölkerungskreise erkennt er an und fordert die Fürsten, Herren und geistlichen Prälaten auf, Missstände zu beheben. So sollten die Landesherren etwa die enormen Lasten verringern, die die Bauern zu tragen hätten.
Dagegen verurteilt Luther Aufstände und Gewaltanwendung als Mittel des Protests. Dass die Aufständischen an das göttliche Recht anknüpften, kritisiert er scharf. Der Konflikt ist für ihn eine weltliche und damit keine christliche Angelegenheit. Das Evangelium kann seiner Meinung nach nur für kirchliche Belange herangezogen werden: Der Gläubige erlangt ausschließlich christliche Freiheit, weltliche Freiheit ist dagegen von Glauben und Kirche strikt zu trennen. Um den Frieden zu wahren, schlägt Luther ein Schiedsverfahren durch städtische Adelige und Ratsherren vor.

Doch darauf wollten die Bauern nicht warten. In ihrer Not radikalisierten sich weiter. Nach während er an der "Ermahnung zum Frieden" arbeitete, kam es zur "Weinsberger Bluttat", die bei den Adligen in D Panik auslöste. Erst darauf reagierte Luther mit Abscheu "Wider die mörderischen Rotten der Bauern". Abgesehen davon, dass eher die Bluttaten von Bauern als an Bauern kolportiert wurden und Luther eher einseitige Schilderungen erhielt, war er durch und durch ein Mann des Mittelalters, das auf Normen und Ordnungen angewiesen war, und wo Individualismus und Revolutionen eher mit Abscheu betrachtet wurden.
Im Übrigen war Luther eher ein unwissenschaftlicher Kopf. Er verfolgte die Sache seiner Reformation mit Eifer, war z.T. rechthaberisch- zänkisch, zum anderen durchaus opportunistisch. Manchmal neigte er zum Lavieren. Bei der Frage der Transsubstantiation setzte er sich zwischen die Stühle der Katholiken und der Reformation und vertrat eine mittlere eher unverständliche Position.
In der Frage der Prädestination, die Calvin und nach ihm fast die ganze USA vertrat, blieb er aber erfreulich konservativ.
Nach meinem Geschichtsverständnis ist es nicht weiterführend, an einen Mann des Mittelalters moderne Maßstäbe anzulegen.
Zuletzt geändert von hansel am 16. Feb 2022 17:59, insgesamt 2-mal geändert.

Wunderblümchen
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Beitrag von Wunderblümchen » 16. Feb 2022 17:33

Wichtig war die Bibelübersetzung in gängige Sprache. Bis dahin konnte den Leuten alles Mögliche erzählt, ihnen Angst gemacht und das Geld aus der Tasche gezogen werden, wer lesen konnte. War ja nicht selbstverständlich für alle im MA.
Und er vermittelte Lebensfreude, statt Angst, Askese und urbi et orbi, wenn ich das richtig in Erinnerung habe und es mir Evangelische zum Teil vermitteln.
Seine Haltung zu Juden und Jüdinnen wird heutzutage nicht unter den Tisch fallen gelassen, aber wahrscheinlich ungern erwähnt

(Im Mittelalter gab es auch Beginen und Begarden.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Beginen_und_Begarden)

Es gab auch andere wie Calvin, Zwingli, Melanchthon..

Refirnator_innen der Neuzeit könnten Uta Ranke-Heineman, Eugen Drewermann...sein. Ich glaube, beide wurden exkommuniziert, also aus der Kirche ausgeschlossen
:heartrain: "Nein, muss ich nicht!"

hansel
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Beitrag von hansel » 16. Feb 2022 17:54

Wunderblümchen hat geschrieben:
16. Feb 2022 17:33

Refirnator_innen der Neuzeit könnten Uta Ranke-Heineman, Eugen Drewermann...sein. Ich glaube, beide wurden exkommuniziert, also aus der Kirche ausgeschlossen
Nein, wurden sie nicht. Sie verloren jedoch ihre katholischen Ämter.
Eigentlich müsste man sich eine Patchwork-Religion aneignen.
Wobei meine irgendwo zwischen Altkatholiken und Lutheranern angesiedelt sein würde.
Bei den Lutheranern erfreut mich ihr "Mut zur Sünde"
Die reformierte Kirche Calvins erfüllt mich mit Schaudern, der katholische Prunk ist zwar zum Betrachten ganz schön, aber nichts für meine Seele.

Im Übrigen bewundere ich die Leistungen des europäischen Mittelalters.
Kant hatte keine Ahnung, als er es verachtete.

Wunderblümchen
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Beitrag von Wunderblümchen » 16. Feb 2022 18:03

@hansel: hört sich gut an.
Zu Kant weiß ich gerade nichts.
Es gibt ja noch andere Religionen.. man kann ja alles mal ausprobieren. :D
Ich picke mir überall die Rosinen heraus. Oder bin Atheistin. Oder Agnostikerin. Oder. Oder....

Hm, was war ich heute...??
Heute wollte ich alles erledigt bekommen, was anstand..und dabei nicht gestört werden. :D Auch nicht von den Göttern. Sie hatten Ruhe vor mir heute. Wie aktiv Schutzengel ggf waren, weiß ich allerdings nicht und sage mal danke.
:heartrain: "Nein, muss ich nicht!"

das Berteltier
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Beitrag von das Berteltier » 16. Feb 2022 18:57

hansel hat geschrieben:
16. Feb 2022 17:23
OK, bei dem Verhältnis Luthers zu den Juden hatte ich ja schon dargestellt, dass es ihm um die Konversion der Juden zu seinem biblischen Christentum ging. Erst als sie nicht darauf eingingen, verfolgte er sie mit seinem Hass. Dieser beruhte also nicht auf einer rassistischen antisemitischen Grundlage, sondern war die Fortführung des bekannten klerikalen Antijudaismus.
Die theologische Judenfeindlichkeit besteht prinzipiell mit der Erfindung des Christentums als neue, vom Judenchristentum abgegrenzte Religion. Eine Folge des Streits zwischen den Jesusanhängern, welche im Erbe ihres Meisters diese Sekte nach dessen Vorstellungen weiterführen wollten und den "Heidenchristen" des Paulus. Dieser Jesus hat nie gesagt, er wolle das Gesetz aufheben, sondern genau das Gegenteil ("erfüllen"). Er war Jude und hat das nie hinterfragt. Paulus machte, so seh ich das, aus der Story einen Verkaufsschlager und wollte somit möglichst viele Anhänger gewinnen, vielleicht auch Geld und Ruhm? Für die Judenchristen in der Nachfolge des Jesus (u. a. sein Bruder) war eine Bedingung dieser Bewegung anzugehören, Jude zu sein. Paulus kannte zwar Jesus nicht, argumentierte aber mit einer Vision, dass Gott ihm aufgetragen hätte das anders zu sehen und auch die Heiden zu missionieren. Da kam es zur ersten Spaltung. Wenn wir davon ausgehen, dass Jeschua das Kreuz überlebt hat, sogar noch während seiner Lebzeiten. Für Paulus waren diese "echten" Jesusanhänger ziemlich gefährlich, da diese ja größtenteils den Meister noch persönlich gekannt hatten (eventuell sogar noch mit ihm im Verborgenen in Kontakt standen) und somit "authentischer" waren. So verbreitete er erfolgreich die Story, "die Juden" hätten "den Christus getötet", was einfach nicht der historischen Tatsache entsprach. Es waren die Römer.

Diese Story mit dem "Gottesmord" und dem "Verrat des Juden Judas (!)" hat sich über Jahrhunderte gehalten und wurde bei Gelegenheit gerne als theologische Begründung für Antijudaismus hervorgekramt.

Für das Mittelalter ist zu erwähnen, dass es neben den bekannten Pogromen auch weite Phasen gab, da sie relativ sicher lebten. Die Kreuzzüge gaben dann den Anlass zu Ausschreitungen, teilweise auch Hetze durch Kirchenobere. Schon im frühen Mittelalter waren Juden von anderen Bewohnern nicht zu unterscheiden, Vermischung, Konversionen haben über die Generationen die Unterschiede verwischt, sie sprachen die gleiche Sprache, übten die gleichen Berufe aus. Deshalb wurden dann die Kennzeichnungen, der "Schandfleck" eingeführt. Die Restriktionen gegen die Juden wurden aber mit der Taufe fallengelassen, sie waren dann von den Verfolgungen und Sanktionen befreit. Erst im Spanien mit der Inquisition änderte sich das, Konvertierte wurden teilweise noch mehr verdächtigt.

Somit hast Du Recht, Luther dachte anfangs, mit seinen Thesen könnte er die Juden überzeugen und sie müssten also gefälligst übertreten. Die Argumente reichten aber nicht, es konvertierten kaum Juden zum Luthertum. Das hat seine Stirnadern anschwellen lassen und ihn mit Hass erfüllt. Das Ergebnis war, dass er also zu der Überzeugung kam, die Juden seine verstockt, könnten nicht "gerettet" und müssten ausgemerzt werden. Da ist bei ihm der theologische in einen "rassistischen" (den Rassebegriff gab es noch nicht, deshalb Anführungszeichen) Judenhass übergegangen. Und dieser Hass war sehr unchristlich. Wenn tier liest, was Jesus zur Feindesliebe geäußert hat, so passen diese hasserfüllten Auswürfe dieses Menschen so gar nicht dazu.
Ich betrachte die Schoah als das größte jemals begangene Verbrechen in der Menschheitsgeschichte.
Jegliche Leugnung, Verharmlosung oder Relativierung des Holocaust, auch bezogen auf andere Minderheiten wie z. B. die der Sinti und Roma, lehne ich ab.

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