Sexarbeit von der Sexarbeitslobby beschönigt

Politische Diskussionen ohne Tierrechtsbezug
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somebody
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Beitrag von somebody » 24. Mai 2021 22:42

Rosiel hat geschrieben:
24. Mai 2021 16:57
... würde ich unterschreiben, was Huschke Mau über die seelischen/psychischen Schäden von Sexarbeiter:innen sagt.
+1

Ich machte Pro Bono Schuldenregulierungen (Vergleichsverhandlungen mit Privatgläubigern, Kreditinstituten, Inkassounternehmen) für mehrere Ex SexworkerInnen. Nach meinem Eindruck war bei allen wirtschaftliche Not Grund für den Einstieg. Folge der Arbeit waren psychische Schäden, Suchterkrankungen ...
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Sappho
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Beitrag von Sappho » 27. Mai 2021 11:14

Das kommt auf das Niveau an.

ich hatte Mandantinnen, da sah das ganz anders als nach dem Klischee aus. Die Eine machte das als Nebenjob, um sich die Gucci-Tasche leisten zu können. Die andere war eine Studentin bei einem Escort-Service. Bei der ersten war das quasi geringfügig. Die Studentin verdiente so ca. 10.000 € p. m.

Bei 2 weiteren waren die Klischees voll erfüllt. Die eine, eine Araberin, war von zu Hause wohl weggelaufen und wahrscheiniich drogensüchtig. Die andere war Vietnamesin und verschuldet.

Es ging überall um Steuerstrafverfahren.
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Rosiel
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Beitrag von Rosiel » 27. Mai 2021 15:09

Und daher kannst du Auskünfte über deren Seelenleben im derzeitigen Zustand und in 10 bis 15 Jahren geben?

Sicher ist 10.000€ im Monat netter als 50€ Flat-Rate-Ficken, die erhöhte Missbrauchs- und Körperverletzungsrate bleibt aber. Sowie die etwas schwierigen Machtverhältnisse in diesem Sektor.

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Beitrag von Akayi » 27. Mai 2021 15:12

Ist das nicht so ein generelles Thema? Also dass die Lobby immer mit irgendwelchen Studentinnen ausgräbt die angeblich Riesensummen verdienen und damit einfach ein Bild zeichnen was von der Realität weit entfernt ist.
recherchiert, was rechtlich so möglich ist

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illith
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Beitrag von illith » 27. Mai 2021 15:16

sexbezogene Arbeit ist irgendwie eins der Themen, wo man meinem Eindruck nach kaum 'differenzierte' Infos und Standpunkte zu bekommt. Pornodarstellerinnen, Prostituierte - entweder ist alles superglam, Fun & one big family - oder es ist ein Moloch aus Drogen, Missbrauch, Gewalt und Selbsthass.
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Rosiel
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Beitrag von Rosiel » 27. Mai 2021 16:31

Naja, die nackten Zahlen kennt man aber und mit so ein bisschen Nachdenken kommt man auch recht weit. Bei Missbrauch und Vergewaltigung hat man immer ein Problem mit dem Nachweis und der mittlerweile existierenden Überlastung der Gerichtsbarkeit. Von 100 angezeigten Vergewaltigungen, werden 15% verhandelt und 1% tatsächlich verurteilt. Bei Sexworker:innen kommt erschwerend hinzu, dass in den Sex ja prinzipiell vorher eingewilligt wurde.
https://www.ko-ev.de/themen/sexualisierte-gewalt/

Lt. diesem kanadischen Paper ist die Wahrscheinlichkeit ermordet zu werden unter Sexworkerinnen 40x so hoch wie unter anderen Frauen, in Deutschland ist es soweit ich weiß etwa Faktor 10, konnte jetzt aber keine Quelle dazufinden.
http://publications.gc.ca/site/fra/9.84 ... ation.html
Dann ist die Aufklärungsrate bei Femiziden im "Milieu" echt mau, weil die Spurenlage meist recht unübersichtlich ist (Vortrag Benecke).

Die Legalisierung und Normalisierung von Prostitution ist mMn halt auch eine Normalisierung vom Besitzanspruch über andere - meist weibliche - Körper und die Rechtfertigung deren Ausbeutung. Und auch bei Nobelescort bleibt ein Machtungleichgewicht zwischen dem der "Benutzungsrechte" kauft und dem/der, der/die es anbietet.
Plus die komplette Kiste der Zwangsprostitution und Ausnutzung von Notlagen...
Zusammengerechnet wurden in den drei Jahren (2008-2010) in der EU 23.623 Opfer von Menschenhandel registriert. 68 Prozent waren Frauen, zwölf Prozent Mädchen, 17 Prozent Männer und drei Prozent Jungen. Zwei von drei Betroffenen wurden laut der Studie zur Prostitution gezwungen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitge ... ichtlinien
Das sind grob 16.000 Zwangsprostituierte in 3 Jahren in der EU (von der Dunkelziffer mal ganz zu schweigen).

Nach meinem Dafürhalten ist das bei weitem zu viel Gewalt gegen Menschen, die sich nicht wehren können, um zu sagen 'Joa, ist alles knorke so wie's läuft.'

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Sappho
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Beitrag von Sappho » 27. Mai 2021 16:44

Ich habe einfach von 4 Fälle aus der Praxis berichtet. Ohne weiteren Kommentar außer, dass die Fälle recht unterschiedlich waren.



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Curumo
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Beitrag von Curumo » 27. Mai 2021 17:37

Plus die komplette Kiste der Zwangsprostitution und Ausnutzung von Notlagen...
"Befürworter des Verbots verweisen oft auf eine Studie, die gezeigt hätte, dass die Legalisierung von Prostitution den Menschenhandel befördert. Allerdings betonen die Autoren selber, dass die Studie nicht als Argument für ein Prostitutionsverbot herangezogen werden soll. [...]
Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Cornelia Möhring, kritisiert, dass sich durch ein Verbot die soziale Situation der Prostituierten nicht verbessere [...]
Kritisiert wird weiterhin der Ansatz, Menschenhandel durch eine allgemeine Kriminalisierung der entgeltlichen Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen zu bekämpfen. Stattdessen werden Verbesserungen der Sozialleistungen im Sinne des sozialstaatlichen Schwedischen Modells befürwortet."
bei weitem zu viel Gewalt gegen Menschen, die sich nicht wehren können, um zu sagen 'Joa, ist alles knorke so wie's läuft.
Deswegen macht dann das schwedische Modell auch so richtig Sinn, dass laut Aussage von Betroffenen und Experten, dass das Ganze durch Kriminalisierung noch mehr ins Private(= Wehrlosigkeit) treibt und die Macht noch mehr zugunsten des Freiers verschiebt durch die den Freiern bewusste Verknappung der Nachfrage. Und jetzt nicht irgendwelche Nebelkerzen von Hurr-Durr in Schweden gibt's aber mehr Alternativen/dann müsste man halt XY machen. Müsste, sollte, wollte hilft halt niemanden. Mit der aktuellen Rechtslage hier in D können Prostituierte immerhin de Facto Geld einklagen, sind kranken/sozialversicherungsfähig und können durch Zusammenschluss oder in Bordellen gewisse Sicherheit erwarten usw. Im schwedischen System werden Vermieter/Hotels an Prostituierte oder Prostituierte die sich wirtschaftlich zusammentun wie Zuhälter bestraft, was dazu führt das Prostituierte alles alleine und heimlich abwickeln müssen, das volle Risiko tragen geprellt oder Opfer von Gewalt zu werden in dem Sie Freier nur noch in der Privatwohnung empfangen können und on Top dann noch das Risiko der Obdachlosigkeit droht. Ach, und Verurteilungen von Freiern nach dem Gesetz gab's im Gegensatz dazu seit 1999 [sic!] nur ein paar hundert Stück, fast alles popelige Geldstrafen. Wow, was für eine "Verbesserung" im Vergleich zum Status Quo!
Die Legalisierung und Normalisierung von Prostitution ist mMn halt auch eine Normalisierung vom Besitzanspruch über andere - meist weibliche - Körper und die Rechtfertigung deren Ausbeutung.
Und Meiner Meinung nach könnte man alle Bordelle dicht machen, ich hab' nie eins betreten und werde das auch nie. Aber das hilft halt keiner einzigen Prostituierten noch ändert es etwas an der Tatsache, dass sich die Menschheit seit tausenden Jahren mit diesem leidigen Thema herumschlägt. Und die Geschichte zeigt: Ja, Verbote wirken - aber so gut wie nie wie beabsichtigt.
Andere Studien ergaben, dass das Verbot der Inanspruchnahme von Prostitution zu einer erhöhten Bereitschaft der Bevölkerung führe, auch die Anbieter von Sexdienstleistungen zu kriminalisieren. [...] Auch seien durch die Illegalisierung die Opfer von Menschenhandel weniger sichtbar und damit auch weniger geschützt.
Was legal ist kann man jedoch aktiv gestalten, sofern der politische Wille dazu da ist und genügend Mittel zur Kontrolle und Bestrafung von Verstößen zu Verfügung stehen.
A 2015 study of decriminalization in the Netherlands, published by the Institute for the Study of Labor, produced strikingly similar results. In 1994, the Netherlands allowed cities to designate street prostitution legal in certain zones. In Dutch cities that did this, researchers found a 30 to 40 percent drop in sexual abuse and rape during the first two years.
But the study concluded that the best policy to limit trafficking is to decriminalize and regulate prostitution — much like other businesses are regulated — and maintain strict penalties for people who buy sex from unlicensed (and trafficked) workers. That way, legal sex work can take up demand that would otherwise go to trafficked workers, while police can continue using the full force of the law to crack down on illegal operations that may continue to use trafficked sex workers.
https://www.vox.com/2015/8/18/9166669/w ... ostitution
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Rosiel
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Beitrag von Rosiel » 27. Mai 2021 19:07

:aq: Das Ganze :aq: ist nicht kriminalisiert und wer meint, dass man sich schwer tut, an Prostituierte zu kommen, war scheinbar noch nie in Schweden. Es findet lediglich nicht mehr draußen in irgendwelcher Leute Autos auf dunklen Parkplätzen statt.
Curumo hat geschrieben:
27. Mai 2021 17:37
Kritisiert wird weiterhin der Ansatz, Menschenhandel durch eine allgemeine Kriminalisierung der entgeltlichen Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen zu bekämpfen. Stattdessen werden Verbesserungen der Sozialleistungen im Sinne des sozialstaatlichen Schwedischen Modells befürwortet."
The article has also demonstrated the reasons why [the transfer of] the Nordic model is not working.[...] If borrowing countries also fail to consider these issues [gender equality, human rights], we claim that this results in uninformed transfer. Finally, the lack of implementation of the law by law-enforcers results in incomplete and inappropriate transfer because of the lack of support for the law by practitioners and a lack of implementation. These identified cracks in the apparently unified and coherent Nordic model, as the name would suggest, therefore undermines its persuasiveness. We therefore urge countries to learn lessons from the problems and challenges of adopting the Nordic model that have been documented here.
Kingston, S., Thomas, T. No model in practice: a ‘Nordic model’ to respond to prostitution?. Crime Law Soc Change 71, 423–439 (2019). https://doi.org/10.1007/s10611-018-9795-6

Apart from that habe ich auch nicht gesagt, dass das Nordische Modell (das es so nicht gibt) der Königsweg ist. Aber zu behaupten Prostitution wäre ein Job wie jeder andere ist schlicht und ergreifend hirnrissig, weil er einfach irreparable Schäden an den Sexworker:innen hinterlässt, einen Rattenschwanz an anderen Problemchen (Menschenhandel, Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Mord und Totschlag) nach sich zieht. Zeig mir mal andere Jobs, wo sich die Wahrscheinlichkeit ermordet oder vergewaltigt zu werden so drastisch erhöht, wie in der Prostitution (Farley et al. Prostitution & Trafficking in Nine Countries: An Update on Violence and Post-Traumatic Stress Disorder. Journal of Trauma Practice 2, No 3/4, 33-74 (2003).
Und immerhin kam es nur zu einem einzigen Mord in Schweden an einer Sexworkerin seit 1999 - die Zahlen sind mit Deutschland irgendwie nicht so vergleichbar.

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Kim Sun Woo
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Beitrag von Kim Sun Woo » 27. Mai 2021 22:51

Rosiel hat geschrieben:
27. Mai 2021 15:09
Sicher ist 10.000€ im Monat netter als 50€ Flat-Rate-Ficken, die erhöhte Missbrauchs- und Körperverletzungsrate bleibt aber.
ja. wobei ich zumindest vermuten würde, daß die tatsächliche Anzahl der Übergriffe bei Ersterem dennoch niedriger ist (ich erinnere mich mit Schaudern an Zitate aus einem Freierforum, in dem es um Drogenabhängige vom "Straßenstrich" ging. da schien es für mich schon sehr deutlich, daß diese Vorstellung, "mit denen kannst alles machen!" unmittelbar mit dem wahrgenommenen Status als "Junkies auf der Straße, oftmals in unsicheren Wohnverhältnissen, Aufenthaltsstatus usw. usf" verknüpft war).
Man hat jeden Tag die Chance die bestmögliche Version von sich selbst zu sein. ♥

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