Du sitzt im völlig falschen Sessel, wenn du von einem Film Tarantinos "Geschichtsverständnis" erwartest. Dessen Werke speisen sich aus einer Filmtradition, die in den Bahnhofs- und Nischenkinos zuhause war, bis der Siegeszug der VHS eine breitere Rezeption von Filmen abseits des Mainstreams massentauglich machte. Nicht umsonst verweist er immer wieder auf seine Ursprünge als Videothekar. Seine Filme spielen mit Versatzstücken des "unterschlagenen Kinos", der in Deutschland gerne durch die BPjM zensierten Filmkunst des Abseitigen, Außergewöhnlichen - und ja! - Brutalen. Genrefilme, auch gerne aus dem B- und C-Bereich, sowie internationales Kino abseits der ausgetretenen Pfade, bilden ein Reservoir von stilistischen Vorbildern, deren er sich ausgiebig bedient und die er nach eigenem Ermessen kombiniert, verfeinert oder in die Gegenwart verlängert. Das etwas geistlose Verlangen des durchschnittlichen Kinogängers nach naturalistischem Abbild der wahrgenommenen Lebenswelt bedient er gerade so weit, wie es ihm nötig scheint, um das größere Publikum nicht auszuschließen. Soll heißen: Er interessiert sich nicht für ein exaktes Abbild der vermeintlichen Wirklichkeit, sondern präsentiert seine Sicht auf die Dinge, gefiltert durch die oben erwähnten filmischen Vorbilder und Einflüsse. Als Künstler nimmt er dann die Änderungen vor, die ihm vorschweben und entgegenkommen. Film ist Kunst und keine Abbildung der vermeintlichen Realität, auch wenn weniger talentierte Regisseure gerne so tun.vegabunt hat geschrieben: ↑18. Jan 2020 10:51Allein für das Geschichtsverständnis scheinen mir Tarantinos Werke nicht die beste Wahl zu sein.Kim Sun Woo hat geschrieben: ↑18. Jan 2020 07:47(insofern ist es doch eigentlich "wünschenswert", wenn ein möglichst breites Publikum seine Filme ansieht).
Seine Filme sind mir viel zu oft mit der opulenten Darstellung von Brutalität verbunden, was scheinbar nicht nur ihm überaus gefällt und heute als "normale Unterhaltung" gilt, wie mir immer wieder versichert wird. Die Drehbücher sind mitunter genau so gestaltet, dass sie mit voller Absicht auf diese bestialischen Gewalt-Orgien hinauslaufen.
Sowas finde ich abstossend und halte es für die Psyche für äusserst ungesund; unser Gehirn reagiert nachweislich auf solche Filme, als ob es die Realität sei. Bei stetig steigendem Konsum stumpft man zwangsläufig ab, nicht selten entsteht dadurch das Verlangen nach noch mehr dargestellter Brutalität. Ich kann daher nur schwerlich nachvollziehen, wie man an sowas Freude oder sogar Lust entwickeln kann, ist aber vermutlich auch eine Generationenfrage.
Gleichwohl verurteile ich nicht das Publikum, das sich solche Unmenschlichkeiten gerne ansieht, ich sehe sie eher als die Leidtragenden oder gar unbewusst Geschädigten an, obwohl da natürlich die meisten vehement widersprechen.
Was die Darstellung von Gewalt auf der Leinwand (und in anderen Medien) betrifft, gibt es keine Forschungsergebnisse, die einen Schluss auf etwaige positive oder negative Folgen zulassen. Die Katharsis ist ebenso umstritten wie die Begünstigung von Gewaltausbrüchen. Müsste man die Gewalt im Kino eines Quentin Tarantino nach deiner Einschätzung nicht durch positive Szenen in anderen Filmen ausbügeln können? Wieviele löbliche und genehme Filme muss ich sehen, um mich der schwarzen Umarmung dieser "bestialischen Gewalt-Orgien" entreißen zu können?
Zumal Tarantinos Gewaltlevel schon relativ hoch (im Vergleich zu der familienfreundlichen (sprich: Kinder-) Scheiße, die seit Jahren die Kinos verpestet) scheint, aber eben durch den Zitatcharakter, Ironisierungen und Stilisierungen extrem abgemildert wird. Solltest du etwas wirklich Abstoßendes suchen, wende dich vertrauensvoll an mich. Ich habe sie alle gesehen.